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Liebenswerte
Boshaftigkeiten
Der
Heimatverein „Alt-Ahrweiler“ hat vor 18 Jahren das erste Bändchen
„Kleins gesammelte Boshaftigkeiten“ zum Druck gebracht. Wenige Jahre
danach veröffentlichte der Autor ein weiteres Bändchen „Noch mehr
Boshaftigkeiten“ im Privatdruck. Der Heimatverein veröffentlicht nun
eine zweite, überarbeitete Auflage dieser beiden ersten Bändchen
zusammen in einem Büchlein. Die Texte sind als Glossen zu verstehen und
sollen dem Leser Freude machen. Da die behandelten historischen
Ereignisse meist auf den „Quellen zur Geschichte der Stadt Ahrweiler“
fußen, handelt es sich nicht um Sagen oder erfundene Erzählungen,
sondern um Tatsachen. Allerdings hat sich der Autor manchmal eine
eigenwillige Interpretation vorbehalten. Vielleicht helfen dies
Boshaftigkeiten, Freude und Interesse an der Ahrweiler (und Neuenahrer)
Stadtgeschichte zu wecken.
In seinem
Vorwort schrieb der Autor: „Als die ersten lästerlichen Geschichten in
der Stadtzeitung erschienen, erfuhr der Autor so viel positive
Zustimmung, dass sich der Heimatverein Ahrweiler nun entschloss, diese
„Beiträge zur Stadtgeschichte" in geeigneter Form noch einmal drucken
und binden zu lassen. Das Erfreulichste bei dieser Resonanz war die
überwiegende Zustimmung meiner Neuenahrer Mitbürger.
Ich wurde
aber fast wankend, als ich vor Wochen der Predigt unseres verehrten
Herrn Pastors lauschte, der von der Kanzel herab all denen ins Gewissen
zu reden versuchte, die sich auf Kosten der Neuenahrer Mitchristen
Scherze erlaubten und somit höchst unchristlichem Geist Zwietracht unter
die Christen der Stadt säten, obwohl doch Ahrweiler und Neuenahrer
demnächst auf einer Kirchenbank zusammensitzen müssten. Es regte sich
bei mir ein klein bisschen das schlechte Gewissen. Dann erinnerte ich
mich an meinen Beichtunterricht, wo ich gelernt hatte, dass zur Sünde
auch die böse Absicht gehörte. Und ich erinnerte mich an mein Eheleben.
Was sich liebt, das neckt sich halt. So einfach ist das. Und dann war da
auch noch mein Freund, der Steinborns Köbes. Er wird später noch genauer
vorgestellt werden. Der meinte, wenn es die geschichtlich gewachsenen
Streitereien zwischen Neuenahr und Ahrweiler nicht gegeben hätte,
müssten sie noch erfunden werden. Sie seien nämlich im sonst so frommen
Nebeneinander der Neuenahrer und Ahrweiler das Salz in der Suppe.
Dennoch: Drei
Mitbürger gab es, die diese Beiträge bitter ernst genommen haben, einer
aus Neuenahr und zwei, ich muss es zu unserer Schande gestehen, zwei aus
Ahrweiler. Es' ett dann müjelich!
Also, honny
soit, qui mal y pense.“
Hans-Georg
Klein, Ahrweiler Boshaftigkeiten
hrsg. vom
Heimatverein „Alt-Ahrweiler“
121 Seiten
mit Bildern
Preis: 7,50
Euro
Bezug:
Buchhandlung am Ahrtor

Leseprobe
Märtesdaach in
Ahrweiler
Also, der
Märtesddach in Ahrweiler ist etwas ganz Besonderes. Man sieht es daran,
dass Funk und Fernsehen darüber berichten, halb Neuenahr in Ahrweiler
weilt, die Stadt proppevoll ist und alle Einheimischen sich wochenlang
in gebührender Form über Inhalt und Ablauf aufregen. Der Märtesdaach ist
ganz wichtig für unsere Stadt, zählt er doch quasi zu den zwölf
Ahrweiler Sakramenten. Ich habe hierüber berichtet.
Also früher,
das war in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, auch gute alte Zeit
genannt, ging es am Martinsabend etwas rustikaler zu. Es gab schon immer
den Kampf zwischen den vier Huten um das schönste Bergfeuer. Dieser
Kampf lässt die Geplänkel zwischen Neuenahrer und Ahrweiler wie ein
Tennismatch in einem Mädchenpensionat erscheinen. Nach dem Abbrennen der
Feuer zogen die Junggesellen und die, die sich dafür hielten, hutenweise
unter Mitnahme von Weinbergspfählen und dem Absingen blutrünstiger
Lieder durch die Hauptstraßen zum Marktplatz, wo man sich mit diesen
Schlaginstrumenten gegenseitig den Scheitel nachzog, es war so, wie sich
der Rheinländer eine richtige bayerische Kirchweih vorstellt. Die
Hooligans waren los. Es war so schlimm und der Sanitätsrat musste so oft
eingreifen, dass besonnene Männer unter Anleitung des damaligen Rektors
Strauck einen Martinsausschuss gründeten, um die Auswüchse zu
kanalisieren und zu zivilisieren. Man lobte Preise aus, band die
Junggesellen in das Martingeschehen mehr ein und hoffte auf Frieden.
Wir hoffen heute immer noch und geben die Hoffnung nicht auf.
Der Beginn der
Martinszeit wird durch vier wichtige Dinge gekennzeichnet: Die
Schanzemännche beginnen mit ihrer Arbeit, der Martinsausschuss tagt, der
Bürgermeister beauftragt den Rektor der Aloisiusschule mit der
ordnungsgemäßen Durchführung des Martinsumzuges und der Professor
bestellt rechtzeitig den Pokal für den besten Knollekopp. Ist dann der
Märtesdaach gekommen, stehen zeitig die Mitglieder der
Bewertungskommission auf dem Kanonenturm. Diese sieben Blinden, wie ein
stadtbekannter Redakteur, der nicht genannt werden möchte, einmal
schrieb, haben die unlösbare Aufgabe, die vier Bergfeuer und Schaubilder
gerecht und zur Zufriedenheit aller zu bewerten. Dabei vergessen diese
Blinden nur zu oft, dass die Ahrhöde doch die Schaubilder erfunden haben
und ihnen demgemäß der erste Preis zusteht. Jedesmal, wenn die Ahrhöde
den zweiten Preis erhalten, fühlen sie sich hintergangen, drohen, ganz
bestimmt vielleicht das nächste Mal nicht mehr mitzumachen. Oder
verwechsele ich das mit den Addemichshöde? Übrigens, das ist Ironie des
Schicksals, gehört jener Redakteur jetzt auch zu den Blinden und zieht
sich Jahr für Jahr den geballten Unmut der Ahrhöde zu. Es´ ett dann
müjelich?
Da der Rektor
vom Bürgermeister wie gesagt mit der ordnungsgemäßen Durchführung des
Märteszuges beauftragt ist, tagen im Vorfeld die entsprechenden Gremien,
wohl wissend, dass sich am chaotischen Ablauf doch nichts ändern wird.
Lehrerkonferenz, Elternbeirat und Martinsausschuss beraten intensiv, um
ein Konzept zu erarbeiten, den Martinsumzug in würdiger Form
durchzuführen und vor allem den wichtigsten Personen, den
Grundschulkindern, während des Zuges Geborgenheit und Sicherheit zu
vermitteln.
Also, direkt
hinter dem hl. Mann und dem Ahrweiler Spielmannszug kommen die
Schulkinder der Aloisiusschule wohlgeordnet nach Klassenstufen und
Klassen, geleitet von ihren Lehrerinnen. Damit die Zuschauer auch sehen,
wer zusammengehört, haben die einzelnen Klassen Motivfackel gebastelt.
Nach den Grundschülern, so sieht es der Plan vor, kommen die Schüler der
weiterführenden Schüler, dann die Huten und dann am Ende Eltern mit
Kleinkindern. Dieser Plan wird hoffnungsvoll in der Presse
veröffentlicht, und die Ahrweiler Bevölkerung zur Rücksichtnahme und
Einhaltung aufgerufen. Dabei geht der Martinsausschuss von der Annahme
aus, dass die meisten Erwachsenen lesen können und dazu auch noch
einsichtig sind.
Damit die
vorgegebene Zugordnung auch eine Chance hat, stellen sich die
Schulkinder schon auf dem Schulhof auf und es gelingt tatsächlich, ohne
von Erwachsenen gestört zu werden, über die Römer- und Wilhelmstraße bis
an das Niedertor zu gelangen. Hinter dem Niedertor beginnt das Chaos.
Dichtgedrängt stehen die Menschen und lassen dem Zug kaum eine Gasse.
Kurz vor Bells stößt Kniepse Apollonia wild entschlossen mit ihrem
Kinderwagen zwischen die Schüler der 2a und sprengt den Klassenverband.
Da kann sich die Frau Tumbrink noch so sehr wehren. Die Hälfte der
Klasse ist für sie verloren. Unterstützt wird "dat" Apollonia durch
ihren Ehemann, der Karlchens Fackel trägt, denn Karlchen kann das noch
nicht. Er ist erst vier Wochen alt und steht dem ganzen Spektakel
ziemlich teilnahmslos gegenüber. Aber das resolute Ehepaar wird von Oma
und Opa mütterlicherseits unterstützt. Auch Tante Elfriede aus Elberfeld
ist mit von der Partie und drückt couragiert die im Weg stehenden
Zweitklässler zur Seite. "Dat ist aber eine schöne Ordnung hier in
Ahrweiler", schreit sie ihrem Schwager Egon ins Ohr, "so etwas wäre in
Elberfeld nicht denkbar. Da würden schon die Lehrpersonen für sorgen".
Also, die Tante soll sich da nur raushalten, denn die ist evangelisch
und dazu noch angeheiratete. Der Zuzug der Kinderwagen innerhalb der
Klassenverbände nimmt in bedrohlicher Weise zu. Inzwischen erreicht der
Martinszug den Marktplatz. Immer neue strömen herbei. Der Willi
marschiert, wie so viele andere, ohne eigene Kinder, aber sonst mit
seinem ganzen Anhang in den Zug und wundert sich, dass die Schulklassen
oder das, was von ihnen übrig geblieben ist, nicht mitsingen. Der Willi
steht mit seiner Großfamilie mitten in einem ersten Schuljahr. An jeder
Ecke bleibt er stehen und hält den Zug auf, denn er muss allen seinen
Bekannten, deren er viele in Ahrweiler hat, stolz seinen Schwiegersohn
präsentieren, der ist nämlich irgendwo im Süddeutschen Landrat. Der
Willi hat zudem auch die Oma Fine aus dem Altenheim holen lassen. Die
wird nun vom Neffen Gerd im Rollstuhl mit im Zug geschoben. "Nä, nä",
murmelt Oma Fine, "dat isch dat noch erlewwe kann, noch einmol mett em
Winzerzuch ze jinn. Schad nur, dat die Sonn nett scheint." Der Gerd, der
sie schiebt, ist als abgebrochener Student in Hannover hängengeblieben.
Seit er gelesen hat, dass im nächsten Jahrtausend das Trinkwasser knapp
werden soll, wäscht er sich nicht mehr und nach längerem Diskurs mit
sich selbst hat er auch das Zähneputzen eingestellt. Aber den Ahrweiler
Märteszuch lässt er sich nehmen. Der ist ein Stück seiner
Lebensqualität. Im Übrigen stört ihn auch das Durcheinander nicht, denn
er ist von den Chaostagen Stärkeres gewohnt.
Ach, wat isset
widde schön!
Als die
Feuerwehr am Ende an Stockerts die Weckmänner austeilt, zähle ich mehr
Willis und Apollonias als Kinder im Zug. Der Rektor hat 1400 Wecken für
die Grundschulkinder bestellt, daran sieht man, wie groß die
Aloisiusschule sein muss. Und dann kommt der feierlichste Augenblick.
Über dem Marktplatz hoch vom Balkon der Volksbank werden die Preise für
das schönste Feuer und das eindrucksvollste Schaubild verteilt.
Lautstark lauschen die Junggesellen der Rede der Vorsitzenden des
Martinsausschusses. Als dann die Oberhut den ersten Preis für das
schönste Feuer und die Niederhut den für das originellste Schaubild
erhält, klatschen alle Zuhörer, auch die Junggesellen, gemeinsam
Beifall. Aber irgendwie muss ich da etwas verwechselt haben.
"Nein", höre
ich meine Nachbarin raunzen, die Lehrerin in Neuenahr ist und deshalb
einen anderes Verständnis hat, "nein, so ein Betrug, und überhaupt,
diese Unordnung. Ich werde morgen einen Leserbrief schreiben. Und ganz
bestimmt vielleicht nie mehr mit dem Ahrweiler Märteszug gehen."
"Also, wissen
Sie", klagt auch Frau Tumbrink, die verzweifelt wie eine Henne um ihre
Kücklein um ihre Kinder gekämpft hat, "wissen Sie, im nächsten Jahr
müssen wir das ganz bestimmt vielleicht völlig anders machen. Das muss
besser geplant werden, so wie in Neuenahr, oder?"
Einzelne
Gruppen Junggesellen ziehen maulend und schimpfend an mir vorüber, mit
Ausdrücken, die nicht druckreif sind. Das können aber nur Zugezogene
sein, keine Ahrweiler, ganz bestimmt nicht. "Zwei Monate umsonst
geschafft. Nur den zweiten Platz. Alles Schiebung. Also im nächsten Jahr
machen wird ganz bestimmt vielleicht..." Die letzten Worte verwehen im
Wind.
Die Ahrweiler
Gaststätten sind bis auf den letzten Platz gefüllt. Wer nicht
vorbestellt hat, bleibt vor der Tür. Die Restaurateure machen ein so
gutes Geschäft, dass sie sich entschlossen haben, dem Martinsausschuss
eine Spende als Unkostenbeitrag für die Schaubilder zu stiften. Auch das
soll es geben. Die ersten Busse mit Zuschauern rollen heimwärts, am
nächsten Abend kommen im dritten Programm eindrucksvolle Bilder vom
Ahrweiler Martinsbrauchtum und im folgenden Stadtblättchen bekommen wir
in Leserbriefen mitgeteilt, wie schlimm und unmöglich doch alles war.
Die genannten Gremien tagen wiederum, gehen in sich und ziehen das
Fazit.
"So kann
es nicht bleiben. Alles muss besser werden." Nicht einmal Ulrichs Franz
ist zufrieden, und das will schon etwas heißen.
Es ist wie jedes mal.
Isset net schön?
Ich freue mich schon jetzt auf das
nächste Jahr. |